Ohne künstlichen Sauerstoff den Mount Everest besteigen – check. Am 22. Juli 2022 den 80. Geburtstag feiern – fast check. Peter Habeler ist ein Ausnahmesportler und faszinierender Mensch, der viel zu erzählen hat.
Monika Resler vom Tyrolia-Verlag: Was macht für Dich die Faszination des Kletterns und Höhenbergsteigens aus – und hat sich diese Faszination im Laufe Deines Lebens verändert? Gibt es für Dich im Alter neue Aspekte des Bergsteigens?
Peter Habeler: Klettern, Bergsteigen und das Bewegen ist immer noch meine große Leidenschaft. Ich war immer ein fauler Hund, was das Trainieren angeht, aber ich hab‘ immer Freude an der Bewegung gehabt. Ich mache auch heute keine Gymnastik, aber ich bin fast jeden Tag unterwegs, im Winter auf Skitouren, im Sommer beim Klettern oder auf Touren mit meiner Partnerin oder Freunden. Vor allem das Klettern ist eine einmalige Sache, da steckt so viel drin. Es ist ein umfassendes Programm. So viele Bewegungen die sich harmonisch verbinden. Man hebt vom Boden ab, kommt aus der Komfortzone raus. Heute wollen so viele Menschen etwas erleben, aber kommen vom Boden nicht weg, raffen sich nicht auf – beim Klettern tut man was. Dann muss dazu auch noch das Hirn funktionieren, man trainiert die geistigen Fähigkeiten. Emotional holt es einen aus dem Schlund heraus und gibt einem ein Glücksgefühl. Und man ist ja auch meistens mit jemandem auf dem Weg, den man mag, dem man vertraut, das ist ein Privileg. Aber natürlich muss man aufpassen, „dass ma nit oabifliegt“. Und wenn sich etwas geändert hat bei mir, dann ist es, dass ich achtsamer geworden bin. Das ist jetzt im Alter mein neues Lieblingswort geworden. Man muss sich mehr dem Ablauf der Natur stellen, der eigenen und auch der Natur, die einen umgibt. Man muss achtsam mit sich selbst sein. Und Achtsamkeit braucht es nicht nur in den Bergen, sondern auch im Umgang miteinander, es gibt heutzutage viel Rücksichtslosigkeit.
Der Everest – was hat er als Berg und vielleicht auch als Symbol in Deinem Leben für eine
Bedeutung? Und prägt ein Erlebnis wie Deine Erstbesteigung einen Menschen dauerhaft?
Der Everest war ein Wahnsinn, toll, eine große Tat, gemeinsam mit anderen und natürlich war auch viel Glück dabei. Aber ich habe ihn auch nie überbewertet. Ich war dort nicht in meiner stärksten Verfassung, die war später z. B. am Kangchendzönga besser. Der Everest, das war der Hippiepeak, eine Legende, aber für mich waren der Gasherbrum I und der Kangchendzönga genauso wichtig. Ich hab‘ dem Everest natürlich auch viel zu verdanken, er hat unser Team weltweit bekannt gemacht und uns danach auch manches ermöglicht, er hat es uns leichter gemacht unsere Träume zu verwirklichen, Expeditionen in Nepal und Südamerika. Aber es ist auch ein Erlebnis, das schon lange zurückliegt. Für mich sind die first places in meinem Leben viel mehr im Jetzt, was ich gestern geleistet habe, heute tue oder morgen plane. Ich sehe das immer wieder, wenn ich mit Gruppen unterwegs bin, ob in Sardinien oder in Nepal, und mich die Leute dann dort, direkt beim Gehen nach dem
Everest fragen. Dann bin ich doch dort unterwegs und nicht in der Vergangenheit. Aber was schon auch stimmt, der Everest hat mich damals aus einer wirtschaftlich schwachen
Position herausgeholt. Ich konnte mir danach das Haus bauen, in dem ich heute noch lebe. Und er hat mir die Angst vor der Altersarmut genommen, die ich schon von meiner Jugend an hatte. Nach dem Everest mussten wir nicht für unseren Lebensunterhalt jeden Groschen umdrehen.
Zu Deinem 75. Geburtstag konnten wir unseren Klassiker „Das Ziel ist der Gipfel“ ein wenig erweitern und aktualisieren, unter anderem um das Erlebnis der Wiederbegehung der Eiger-Nordwand mit David Lama. Er ist, wie viele andere Deiner Weggefährten, in den Bergen verunglückt. Wie blickst Du auf solche Verluste zurück und wie hat das Risiko beim Bergsteigen Dich selbst geprägt?
Ich hab‘ immer das große Glück gehabt, mit wirklich guten Leuten unterwegs sein zu können, mit den besten. Und ich habe sie immer durch Zufall getroffen, den Reinhold Messner, Doug Scott und wie sie alle heißen. Immer zu einem Zeitpunkt, an dem ich nicht daran gedacht habe, so jetzt muss ich mich mit dem oder dem zusammentun. Ich bin ein kontaktfreudiger Mensch, da hat sich das ganz einfach ergeben. Und natürlich gibt es dann die Traurigkeit, wenn man als 80-jähriger weiß, dass viele von diesen Besten, mit denen man unterwegs war, nicht mehr da sind. Zu Allerseelen schreibe ich immer ihre Namen auf und frag mich, sind die da noch irgendwo, hocken die da irgendwo auf Wolke 7. Und dann weiß ich, die gibt’s noch, denn man denkt an sie. Sie haben es mir ermöglicht zu überleben, weil sie da waren, und gut und stark waren. Ich bin mit ihnen durch gemeinsame Erlebnisse verbunden, man war eine Seilschaft, das bleibt man. Und so lebe ich ein bissl in der Vergangenheit, ganz viel im Jetzt und denk aber auch ein bissl an Morgen.
Was das Risiko am Berg betrifft: In der Jugend ist die Ungestümheit natürlich viel größer, man verdrängt auch mehr – und traut sich dadurch auch mehr. Jetzt denke ich oft: Wenn mir da heut was passiert, dann heilt das lange nicht! Es ist ein Rückzug aus der Risikobereitschaft. Man kennt sich gut, aber man kennt sich nie ganz, man entdeckt immer wieder neue Facetten. Vorsicht ist auch eine Art Achtsamkeit sich selbst gegenüber. Ich habe keine Schrittzähler und keinen Pulsmesser, man muss in sich hineinhören. Routine ist wichtig, aber auch sie macht auch anfällig für Fehler. Heute schau ich vielleicht noch mehr als früher drauf, dass meine Partner am Berg gut sind, man muss sich mögen und ebenso muss man sich selbst mögen und wieder ein guter Partner zu sein.
Immer wieder warst du mit den Ausnahme-Alpinisten Deiner Zeit unterwegs und auch in den letzten Jahren hast Du bei gemeinsamen Projekten mit jungen ExtremalpinistInnen eine gute Figur gemacht. Was ist das Geheimnis Deiner so unbändigen Leistungsfähigkeit und Unternehmungslust?
Es gibt nichts Besseres im Leben als die Jugend, nicht nur so mit 18, sondern auch mit 25 und 30. Da hat man keine Angst, denkt nicht so viel nach. Im Alter wird man vorsichtiger, man darf sich nicht überschätzen. Ich bin noch immer viel mit jungen Leuten unterwegs, aber wie vor 5 Jahren mit dem David Lama, das traue ich mir nicht mehr zu. Doch man darf sich nicht selbst bedauern, ich freue mich für die Jungen und bewundere, was sie leisten, dass sie so tolle Möglichkeiten haben. Ich muss nicht mehr in so große Höhen, aber es ist wichtig immer wieder mal was Neues zu wagen, halt innerhalb seiner Grenzen, die man kennt. Aber das hält neugierig, das hält beweglich.Die Energie kommt bei mir immer noch vom Kopf. Eine positive Grundeinstellung ist wichtig, und eine gute Selbsteinstellung, ich glaub an mich, ich mag mich selbst. Die Freude ist eine Triebfeder. Dazu kommt, dass ich immer Glück gehabt habe. Es ist immer alles gut gegangen auf meine Touren – und dieser Erfolg motiviert. Und was ich auch gelernt habe: Die Pausen sind wichtig, auch eine Kerze kann nicht ununterbrochen durchbrennen.
Was wünschst Du den Kletterern und HöhenbergsteigerInnen von morgen angesichts der vielen Herausforderungen wie dem Klimawandel oder der Entwicklung zum Massensport? Und was wünscht sich ein Peter Habeler zum runden Geburtstag für sich selbst?
Ich wünsche den jungen Alpinisten so viel Glück, wie ich es gehabt habe – und dass sie ihre
Cleverness nutzen können, die bessere Ausrüstung, das besser Training. Vielleicht auch, dass sie es noch schaffen, im Höhenbergsteigen ohne allzu viele technische Hilfsmittel neue Maßstäbe zu setzten. Da hat sich nicht so viel Bahnbrechendes getan verglichen mit vielen anderen alpinen Bereichen in den letzten Jahren. Und ich wünsch‘ ihnen Umsichtigkeit und Gefahrenorientiertheit, dass sie achtsam sind und selbst ausloten können, was sie sich zumuten. Denn natürlich ist es in den Bergen auch gefährlicher geworden. Die Ausaperung ist anders, der Permafrost fehlt mehr und mehr, der Fels wird brüchiger – damit muss man sich auseinandersetzen. Und was den verstärkten Run auf die Berge angeht, im Hochgebirge sind nicht so viel mehr Leute unterwegs. Man darf sich halt nicht auf die Modeberge beschränken, muss sich andere, neue Routen und Ziele suchen, darf nicht nur dem Mainstream folgen.
Für mich selbst wünsche ich mir das, was sich wohl jeder wünscht: dass mir meine Freunde erhalten bleiben, Gesundheit, eine gute Zeit mit meiner Partnerin, dass wir die vielfältigen aktuellen Krisen überwinden können und unser Land nicht einmal das Schicksal der Ukraine teilt. Und ganz konkret wünsche ich mir, dass die Welt auch ein bisschen analog bleibt. Das Virtuelle ist der große Trend, immer und überall. Der Berg und die Natur, die sind nicht virtuell, die sind real, die sind analog und können auch nur so wirklich erlebt werden.
(Interview mit Monika Resler, Tyrolia-Verlag, 27. Mai 2022)
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Das Ziel ist der Gipfel
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