Käsespatzen gehören zu den Lieblingen der Allgäuer Küche. Und fast jeder Urlauber packt vor der Heimreise das ein oder andere Stück Allgäuer Käse in den Koffer. Keine Frage, Käse spielt eine Hauptrolle im Allgäu – in der Küche genauso wie im Wirtschaftsleben.
Unzählige Milchkühe grasen auf Allgäuer Weiden und insgesamt produzieren Allgäuer Käsereien 15 % des deutschen Käses und fast 40 % des deutschen Hartkäses. Damit ist die Region heute zweifellos Deutschlands Käseküche. Das war nicht immer so.
Vom blauen Allgäu zum grünen Allgäu
Das Allgäu war immer Bauernland, aber angesichts karger Böden und eines rauen Klimas waren der Bauernalltag hart und die Gewinne bescheiden. Vor 200 Jahren baute man außer Getreide vor allem den bläulich blühenden Flachs an, den Rohstoff für Leinen. Die Flachsverarbeitung sicherte den Bauernfamilien im Herbst und Winter ein dringend notwendiges Zubrot. Als jedoch billige Baumwolle aus Übersee den Markt überschwemmte, kamen handgewebte Allgäuer Tücher aus der Mode.
Hilfe in der Not brachte ein Senn aus dem Schweizer Emmental, den ein findiger Allgäuer Geschäftsmann als Entwicklungshelfer in Sachen Käse engagierte. Der Allgäuer Emmentaler erblickte das Licht der Welt und wurde auf Anhieb zum Verkaufsschlager. Aus dem blauen Allgäu der Flachsblüten wurde das grüne Allgäu der Viehweiden.
Die Favoriten aus der Käseküche
Es gibt vier geschützte Allgäuer Käsesorten: Allgäuer Emmentaler, Allgäuer Bergkäse, Sennalpkäse und Weißlacker.
Allgäuer Bergkäse ist das Prestigeprodukt vieler Käsereien und eine EU-weit geschützte Ursprungsbezeichnung. Charakteristisch sind die erbsengroßen Löcher und der würzige Geschmack.. Er entsteht ausschließlich in Handarbeit. Eine besondere Variante des Bergkäses ist der Allgäuer Sennalpkäse, der im Sommer auf Sennalpen in handwerklich-traditioneller Weise produziert wird.
Charakteristisch für den beliebten Allgäuer Emmentaler sind die großen Löcher. Sie entstehen durch Gasbildung im Käseinneren – bedingt durch die besondere Art der Lagerung.
Das eigenwilligste Produkt aus Allgäuer Käseküchen ist aber sicher der Weißlacker, der wahrlich zum Himmel stinkt. Die pikante Spezialität verdankt ihre Existenz einer Nachlässigkeit: Ein Käser hatte den Limburger in der Salzlake vergessen. Als man ihn nach einem halben Jahr entdeckte, warfen ihn die sparsamen Allgäuer nicht auf den Kompost, sondern probierten erst einmal ein Stück. Sie entdeckten einen Käse mit viel Charakter.
Neben den Klassikern beleben neue Käsesorten wie Bärlauchkäse, Bockshornkleekäse oder Heublumenkäse das Sortiment.
Käse aus Handarbeit
Auch im Allgäu gibt es Großkäsereien, aber Dorfsennereien erlebten unlängst ein Revival. Dort produzieren Käsefachleute in Handarbeit ausgezeichneten Käse, der auch international Preise abräumt. Noch traditioneller wir nur auf den Sennalpen, auf denen Kühe ihre Sommerfrische verbringen, gekäst.
4000 l Milch, geliefert von den Bauern der Umgebung, landen täglich im Kessel einer der Dorfsennereien im Westallgäu. Das klingt gewaltig, aber für einen Laib Emmentaler von 75 kg benötigt man stolze 1000 l Milch – das entspricht der durchschnittlichen Tagesleistung von 70 Kühen!
An der Arbeit des Käsens hat sich in den letzten 100 Jahren wenig geändert, auch wenn moderne Gerätschaften in der Käseküche den Kupferkessel und das offene Feuer ersetzt haben. Im Kessel werden die entrahmte Milch vom Vorabend und die frische Morgenmilch vermengt und alles zusammen auf 32° C erwärmt. Dann mischt der Käser Kälberlab und etwas angesäuerte Molke (die sog. »Kultur«) bei. Sie bewirken, dass die Milch gerinnt. Nach 30–40 Minuten ist es so weit, und die eingedickte Milch wird mit dem Zauberstab des Käsers, der »Käseharfe«, sorgfältig zerteilt. Bei 51° C wird der Brei dann noch einmal 1–1 1/2 Stunden gerührt.
Spannend wird es, wenn der »Bruch«, also die festen Bestandteile des Breis, mit einem Leintuch aus der zurückbleibenden Molke gehoben und in eine runde Form gepresst wird. Am nächsten Tag wird der Käselaib für 72 Stunden in eine Salzlake gelegt. Er schließt dadurch nach außen fest ab und kann im Inneren reifen. Gelagert werden die Käselaibe im Käsekeller und in den nächsten Wochen sorgsam gepflegt: Regelmäßig müssen sie gebürstet, gewendet und mit Salzlake eingerieben werden. Wohlgefällig betrachten die Käser ihr Werk beim Rundgang und bohren mit dem Käsehobel ein kleines Loch in den ein oder anderen Laib: So können die Fachleute den Reifegrad des Käses überprüfen.
Klasse statt Masse im Allgäu
Nur weil Qualität vor Quantität gilt und das Käsen nach wie vor Handarbeit ist, können die Kleinbetriebe im Wettbewerb bestehen. Fast 100 % des Käses aus Dorfsennereien oder von den Sennalpen werden direkt vermarktet, also an Urlauber oder auch an Einheimische verkauft. Das ist ein Segen für die Käser wie für die Bauern der Region, die vom Verkauf ihrer Milch längst nicht mehr leben konnten. Für hochwertigen Käse sind Liebhaber jedoch bereit, angemessene Preise zu zahlen. »Das handgefertigte Regal vom Schreiner setzt auch niemand in Konkurrenz zum Ikea-Regal«, bemerkt der Käser. Das haben die Verbraucher verstanden und sind bereit für hochwertigen Käse auch angemessene Preise zu zahlen.
Über die Autorin
Elke Homburg ist Reisejournalistin, Reisebuchautorin und Reisebloggerin (www.kekseundkoffer.de). Sie kennt und liebt das Allgäu seit ihrer Kindheit. Beruflich oft unterwegs, entschwindet sie in ihrer Freizeit am liebsten ins beschauliche Voralpenland, das von München aus glücklicherweise schnell zu erreichen ist. Auch nach unzähligen Besuchen geht ihr beim Wandern in den Bergen, bei der Brotzeit auf einer Sennalpe, beim Radeln im Seenland oder bei Konzerten auf Berggipfeln, in Kirchen oder Schlössern das Herz auf. Und glücklicherweise gibt es zwischen Königswinkel und Bodensee immer noch viel Neues zu entdecken. Ihr neuer Reiseführer über das Allgäu ist seit Mai 2021 im Handel erhältlich. >>> Hier findest Du unsere Buchvorstellung <<<
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